An der Außengrenze Europas, Januar 2016.

Ein Urlaubsparadies, Sonne, Meer und Strand und mittendrin:

Menschen, denen ihre Verzweiflung keinen anderen Weg offen ließ, als in einem kleinen Gummiboot (oder überfüllten Segelboot) den Wasserweg nach Europa zu wagen. Die Rettungswesten sind dabei irgendwie zum Symbol für verlorene Menschenleben und viele sinnlose Tode geworden. Wie ich hier bisher beobachten konnte, entledigen sich die Neuankömmlinge eigentlich immer an Land von ebendiesen und stapeln sie meist sogar sorgsam (wenn wir ihnen nicht aus ihnen heraushelfen müssen, weil die Gurte nur geknotet sind und sie mit ihren kalten Fingern diese Verschnürkünste nicht lösen können.) Daher bereitet mir inzwischen jede Weste, die im Wasser treibt, Bauchweh: hat sie der Wind vom Ufer dorthin befördert oder eine besonders hohe Welle oder steht tatsächlich jede einzelne von ihnen für ein weiteres sinnlos verlorenes Leben? Sinnlos nicht, weil ich die Reise nicht nachvollziehen kann, sinnlos aber diesbezüglich, dass unsere wahnsinnige Welt diese Todesopfer für Nichts und wieder Nichts fordert.

Eine Antwort auf diese Frage werde ich wohl nicht bekommen, verschluckt doch das Meer hier allzugern Menschen mit Haut und Haaren und gibt sie nicht mehr frei.

Es gibt Grenzen.

Mein schlimmstes Erlebnis folgt nach der Rückreise.

Das Flugzeug landet am Stuttgarter Flughafen. Es gibt zögerlichen Beifall für den Piloten, erleichtertes Lachen. Es hatte nämlich ein paar Turbulenzen da oben und manch eine(r) hat sich ein bisschen erschreckt. Dann folgt auf die bekannten Durchsagen, dass man angeschnallt bleiben solle, bis das Flugzeug die endgültige Parkposition erreicht habe, eine weitere: Halten Sie Ihre Ausweispapiere bereit. Ich bin verdattert, vielleicht verärgert, zu müde, um das genau sagen zu können. Ich tippe in WhatsApp, dass ich vielleicht doch etwas mehr Zeit brauchen werde, bis ich aus dem Flughafen hinaus komme... packe den Ausweis wieder aus und steige mit ihm in der Hand in den Bus, der uns zum Flughafengebäude bringt.

Dort dann zwei lange Schlangen, unzufriedene Gesichter, viele sind ebenso überrumpelt wie ich.

Dabei - so erfahre ich später - gibt's diese Kontrollen bereits seit drei Monaten.

"Spricht hier jemand Griechisch und Deutsch?", zerreißt die Stimme eine der Polizeibeamtinnen, die an einem von vier Schaltern sitzt, die wartende Anspannung. Unfreundlich, finde ich. Und zunächst meldet sich auch niemand. Sie wiederholt ihre Frage, noch lauter als zuvor. Zögerlich melden sich zwei: Eine blonde Frau aus der Mitte und ein zierlicher Mann weiter vorn aus der Reihe der Wartenden. Es beginnt eine Befragung, die nicht nur die Beteiligten irritiert. Ich werde hellhörig. "Wie lange möchten Sie bleiben?" "Wo gehen Sie hin?" "Was machen Sie hier?" ... Der Befragte ist griechischer Staatsbürger, kann sich ausweisen und offensichtlich hält die Originalität seines Ausweises auch der mehrfachen Überprüfung stand. Was also sollen diese Fragen?

Ich bin müde, fühle mich gerädert von der schlaflosen Nacht und will eigentlich nur raus aus dem Flughafengebäude. Auch wirkt die Polizistin auf mich bereits überaus angespannt und gereizt und ich möchte nicht eskalierend wirken.

Ein schlechtes Gewissen habe ich aber doch, dass ich mich selbst mit so laschen Ausreden aus der Verantwortung stehle, hier Zivilcourage zu beweisen... Es folgt eine Befragung auf die Nächste. Das Schema? Immer gleich. Selbst, als ein Herr sehr gut Deutsch spricht, wird das nicht etwa zu seinem Vorteil ausgelegt. "Wieso sprechen Sie denn so gut Deutsch, wenn Sie hier nur zu Besuch sind?", heißt es da. Mein Ausweis? Zum ersten Mal wird tatsächlich auch dieser genauer inspiziert und ich soll sagen, wieso ich 2015 einen neuen beantragt hatte...

Ein wenig bin ich über diese Art der Gleichbehandlung beruhigt. Doch das Bauchweh bleibt: DAS ist nicht das Deutschland, in dem ich leben mag. Das ist nicht EU. Das ist nicht Schengen. Das ist keine Freiheit.

...und die Toten.

Insel Kos.

#triggerwarnung #tod #sterben #verlust

Irgendwann ist da dieser Gedanke. Entstanden aus der Vermisstensuche, vor allem der vergeblichen. Kurz bevor ich nach Griechenland aufbreche, trudelt eine E-Mail bei mir ein. Ein Freund eines Bekannten fragt, ob ich helfen könne, da ich doch gut vernetzt sei. Ein gemeinsamer Freund werde vermisst. Er habe dannunddann die Türkei verlassen und seitdem habe er sich nicht mehr gemeldet...

Ich lese das Datum und der vernünftige abgeklärte Teil in mir weiß schon jetzt, dass diese Geschichte kein gutes Ende genommen haben kann - zu lange ist die Überfahrt schon her. Doch der Rest von mir hofft ganz fest, dass es doch einfach nur eine Verhaftung gewesen sein möge oder ein Detentioncenteraufenthalt ohne Handy, der die Kontaktaufnahme unmöglich gemacht hat.

Und dann... auf meiner Reise auf die Insel entsteht da diese Idee: Ich möchte wissen, wo die begraben werden, die nicht zu den Glücklichen gehören, die hier weinend, erleichtert, den Boden küssend, lachend oder auch mit tausendmal "Shukran" auf den Lippen ankommen - lebendig.

Ich möchte wissen, was aus denen wird, die hier angespült werden, morgens gefunden, oder in den Armen ihrer Verwandten im Wasser erfrieren. (Das passiert schon auch mal, gerade bei kleinen Kindern.) Bereits als ich die Frage zum ersten Mal laut ausspreche, merke ich an der Reaktion, dass ich sie besser nicht gestellt hätte. Zu unangenehm, zu traurig, zu ohnmächtig fühlt sich das an, hier auf der Insel zu sein, offenen Auges all das mitzubekommen und doch nicht verhindern zu können, dass Menschen auf diesem lächerlich kurzen Stück Wasser zwischen türkischem Festland und griechischer Insel sterben.

... Fortsetzung folgt.

FOTO: Hinter dem katholischen Friedhof nahe Kos Stadt.

Mensch. Mama!


Es ist inzwischen bereits über ein Jahr her, als eine gute Freundin von mir schwanger war und mir lebhaft schildern konnte, mit was für Vorurteilen sie konfrontiert wurde. Sie, jung, schön, in der Beautybranche tätig, sollte doch bitte ihre Lebensweise beibehalten, regelmäßig Sport treiben und "auf sich achten". Schön und gut, mag man jetzt denken. Wo ist das Problem? Und genau da lag eben der Knackpunkt. Zum einen sollte sie sich ärztlich verodnet auf Grund von verfrühten Wehen schonen, zum anderen... ist so ein Babybauch eben ein Babybauch und in ihm drin wächst ein neuer Mensch heran. In was für einer Welt leben wir, in der eine werdende Mutter mehr auf ihr Äußeres Wert legen soll als auf das Wohl des kleinen Menschen in ihr drin? Wer hat das angefangen? Wer hat Schönheitsideale für Schwangere begründet? Das und noch Vieles mehr habe ich mich gefragt, denn die Geschichte dieser Freundin ist kein Einzelfall.

Und weil ich finde, dass Mütter zuallererst auch Menschen sind und als solche alles Recht haben, auf sich selbst stolz zu sein... und zwar nicht auf Grund ihrer Fähigkeit, auch bei Frühwehen noch schnell ein Makeup zaubern zu können... sondern einfach auf sich selbst, so, wie sie eben sind, (und nicht zuletzt auch auf ihre Kinder und dass sie diese in die Welt gesetzt haben, weswegen auch "Schwangerschaftsspuren" nichts sind, was man weglasern oder verstecken sollte), habe ich ihnen eine eigene Fotoserie gewidmet...

die den Titel "Mensch. Mama!" nicht ohne Grund trägt.

AKTUELL (seit 8. März 2018) ist ein Auszug der Serie ausgestellt zu sehen und zwar in der wunderschönen Logopädiepraxis Ulrich in der Bahnhofstr. 16 in Tettnang. Öffentlich zugänglich ist die Ausstellung von Montag bis Donnerstag jeweils zwischen 17 und 18 Uhr. Bitte haltet euch an diese Zeiten, damit der Praxisbetrieb und die Patient*innen nicht gestört werden.

Anfang und Ende.

#triggerwarnung #sternenkind #tod

Ich schaue auf die dunkel unterlaufenen Fingernägel. Die kleinen Hände. Die bläulich gefärbte Haut. Für einen Moment muss ich die Tränen zurückhalten. Ich schaue wieder und wieder hin, fotografiere die ersten Momente einer Mutter, die eben ihr Kind geboren hat. Die Hebamme läuft aufgeregt hin und her. "Ich dachte nicht, dass es so schnell geht." Sie hatte kurz den Raum verlassen, nur kurz, um etwas Ruhe zu bieten und jetzt ist der Kleine schon auf der Welt.

Ich bin auch noch gar nicht richtig im Kreißsaal angekommen, meine Objektivdeckel liegen auf der Fensterbank, meine Kameratasche steht darunter. Ich konzentriere mich wieder, versuche, bei dem gedimmten Licht dennoch stimmungsvolle Momente einzufangen, möglichst wenige Schatten im Bild zu haben und die warme herzliche Atmosphäre wiederzugeben, die hier herrscht.
Es sind ganz besondere Momente, die ich bei meinen Einsätzen als Geburtsfotografin miterleben darf und doch ist es diesmal irgendwie anders. Wieder schaue ich auf diesen noch ganz jungen Erdenbewohner und sehe, dass seine Fingernägel immer noch dunkel aussehen, seine Haut hat ebenso immer noch diesen Blaustich.

Ich atme konzentriert und versuche den Vergleich wegzuschieben, den mir die Bilder liefern. Der Babyjunge, den ich zwei Tage zuvor vor meiner Linse hatte, hatte die gleiche Haut- und Nagelfarbe. Er lag tot aufgebahrt in einem Sarg beim Bestatter. Wenige Tage nach seiner Geburt war er verstorben und dann hatte sich seine rosa Haut wieder blau gefärbt.

Wie nah sie zusammenliegen, Anfang und Ende, denke ich und weiß nicht, ob ich gerade froh bin oder traurig.